Checkliste „Usability Experte“: In 10 Schritten zum Usability Experten
Folgende Fragen beantwortet diese Checkliste:
- Wie werde ich ein Usability Experte?
- Welche Skills sind nötig?
- Wie erkenne ich einen guten Usability Experten?
Diese Checkliste richtet sich an zwei Zielgruppen:
- Website-Betreiber, die die Expertise Ihres Usability Experten objektiv beurteilen möchten
- Internet Professionals, die selbst zum Usability Experten werden möchten
Die 10 Schritte zum Usability Experten:
1. Gesunder Menschenverstand
Es erstaunt mich immer wieder, wie schnell auch Laien grobe Defizite auf Websites erkennen. Die Kritik ist dann zwar meist allgemein, einzelne Fehler können nicht benannt werden, aber das Gespür für einen Mangel bei konkreter Nachfrage ist da.
Gibt man diesen Laien nun eine Heuristik an die Hand, unter Zuhilfenahme derer sie eine Website bewerten sollen, sind all die, die über einen gesunden Menschenverstand verfügen, sehr schnell in der Lage, konkrete Probleme zu identifizieren und diese anschließend auch zu benennen, weil sie in der Lage sind, sich in andere Menschen hineinzuversetzen und anhand der konkreten Fragen der Heuristik mit dem Problembewusstsein ausgestattet wurden. Eine gesunde Sensibilität ist also die Basis für ein objektives Urteilsvermögen.
Dennoch reichen Sensibilität und gesunder Menschenverstand natürlich nicht aus. Denn die Fähigkeit, Defizite zu erkennen, qualifiziert noch nicht dazu, zielführende Verbesserungsvorschläge zu machen.
2. Internetaffinität
Die Güte einer Website ist relativ. Webdesign und Webtechnik unterliegen selbstverständlich Restriktionen, die auch durch Usability Optimierungen nicht vollständig behoben werden können. Ziel von Usability- bzw. User Experience Analysen und Engineering ist also meist die relative Optimierung im Vergleich zur Konkurrenz.
Genau deshalb sind jedoch lange Surferfahrung, die Kenntnis vieler unterschiedlicher Seiten und die Freude am Surfen wichtige Voraussetzungen für den Aufbau von Expertise.
3. Wahrnehmungsprozess verstehen
Besucher sind Menschen. Alle Menschen verfügen über die gleichen Sinnesorgane für die visuelle Wahrnehmung. Und auch die Informationsverarbeitung im Gehirn funktioniert bei allen gesunden Menschen gleich, wenngleich sie natürlich vom Kontext und der persönlichen Erfahrung abhängig ist.
Als Experten müssen wir die Kenntnis des Wahrnehmungsapparates als Chance verstehen. Sie versetzt uns in die Lage, zielgruppenunabhängig Abläufe zu optimieren und Aufmerksamkeit zu steuern .
Die kulturkreisabhängige Bedeutung von Farben und deren Signalwirkung oder die Kontrastwahrnehmung sind nur zwei Beispiele für wahrnehmungsabhängige Optimierungspotentiale.
4. Bewusstes surfen
Die Bewusstseinsveränderung kommt meist von selbst. Die langjährige Beschäftigung mit Usability-Defiziten schult das Auge für typische Mängel.
Auf dem Weg zum Experten jedoch muss man sich zum bewussten Surfen zwingen. Nach der reinen Wahrnehmung müssen im zweiten Schritt immer die Bewertung und die Benennung der Probleme erfolgen.
5. Normen & Standards
Die Kenntnis wichtiger Normen und Standards ist ein Muss für jeden Usability Experten. Die Erfahrung zeigt, dass sich nahezu jedes Usability Problem auf die Missachtung eines der wenigen griffigen Leitsätze der gängigsten Normen zurückführen lässt.
Hier exemplarisch Auszüge aus der ISO-Norm 9241:
ISO 9241:110 Grundsätze der Dialoggestaltung
- Aufgabenangemessenheit
- Selbstbeschreibungsfähigkeit
- Erwartungskonformität
- Fehlertoleranz
- Steuerbarkeit
- Individualisierbarkeit
- Lernförderlichkeit
ISO 9241: 11 Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit – Leitsätze
- Leicht zu erlernen
- Intuitiv zu benutzen
- Geringe Fehlerrate
- Zufriedenheit sicherstellen
Die strikte Berücksichtigung dieser Grundsätze würde bei jeder Website-Neuentwicklung bereits einen Grad an Qualität sicherstellen, der vielen Websites fremd ist.
6. Kenntnis von Studien – Beobachtung aktueller Entwicklungen
Das Verhalten der Internet-User verändert sich ständig. Technische Entwicklungen sind hierfür ebenso verantwortlich wie die Kreativität der Designer und nicht zuletzt die Optimierungen von Usability Experten. Jeder neue Trend oder jedes neue Feature auf hochfrequentierten Seiten prägt die Erfahrung und somit die Erwartungen.
Die Vielzahl an Neuerungen und Trends macht es dem Experten unmöglich, all seine Erfahrungen in eigenen Testreihen zu machen. Die Versorgung mit aktuellen Studien ist daher besonders wichtig.
7. Durchführung von Usertests
Haben Sie schon einmal jemandem beim Surfen über die Schulter geschaut? Die Überwachung des Surfverhaltens der eigenen Zielgruppe würde vielen Website-Betreibern die Augen öffnen. Ungeahnte Schwierigkeiten bei der Bedienung sind hier zu beobachten, die der eigenen Betriebsblindheit zum Opfer gefallen sind und manchmal sogar dem geschulten Auge eines Usability Profis entgehen. Keiner kann ihnen so wertvolle Hinweise auf die Güte Ihrer Website geben, wie Ihre User selbst. Und nichts schult den Usability Experten in dem Maße, wie die Durchführung von Usertests.
Sowohl die Planung als auch die Durchführung von User-Tests sind von großer Bedeutung. Die Planung schult den Blick für die wesentlichen zu definierenden Aufgaben, die Moderation eines Tests eröffnet einem Experten tiefe Einblicke in die Wahrnehmung unterschiedlicher Zielgruppen.
Die besten Erkenntnisse erhält der Moderator, der die Situation seiner Probanden versteht. Deshalb plädiere ich für eine verpflichtende Teilnahme von Usability Experten selbst als Probanden an Usertests. (z.B. bei Blickverlaufsanalysen, weitere Informationen zum Usability Testing)
8. Analytische Fähigkeiten
Die Auswertung von Onsite Tracking Daten, Logfiles, Fragebögen oder Testergebnissen stellt hohe analytische Anforderungen an den Usability Experten. Die Anwendung statistischer Methoden, die Identifikation von KPIs(Key Performance Indicators) und die Fähigkeit, Unregelmäßigkeiten und Schwachstellen abzulesen und Testergebnisse richtig zu deuten sind nur wenige der nötigen Fähigkeiten.
9. Erfahrung
Eines steht fest: Auch langjährige Erfahrung bewahrt den Experten nicht vor falschen Schlüssen oder Empfehlungen. Das ist primär durch die oben beschriebene permanente Veränderung des Userverhaltens bedingt. Hier muss auch der Experte am Ball bleiben und sich insbesondere mit den Surfgewohnheiten der nachfolgenden Generationen vertraut machen. Denn nicht jede Aufgabenstellung ist so leicht zu lösen, wie beispielsweise die Optimierung des Transaktionsbereichs eines Standard-Shopsystems.
An einer Stelle kann der Experte jedoch besonders punkten: bei innovativen Produkten, deren Usability noch nicht getestet ist, kann er am besten Chancen und Risiken abschätzen und bei der Entwicklung den nötigen Input liefern, um den Erfolg des Produkts zu gewährleisten. (siehe Usability Engineering)
10. Souveräner Umgang mit Site-Betreibern
Die oben beschriebenen Fähigkeiten reichen bei weitem für die Entwicklung einer außerordentlichen Usability aus. Tritt man jedoch vor Kunden als Usability Experte auf und unterstützt diesen bei der Entwicklung oder Optimierung einer Website, sind noch weitere Fähigkeiten gefragt, nämlich souveränes, kompetentes und zumeist diplomatisches Auftreten.
Hier noch ein paar Tipps für das Kundengespräch:
- Verlangen Sie von Ihrem Kunden klare Entscheidungen bezüglich des Ziels und den Zielgruppen der Website
- Klären Sie alle wesentlichen Rahmenbedingungen bevor Sie sich an die Ausarbeitung von Verbesserungsvorschlägen machen.
- Kritisieren Sie vorsichtig, bis die „Schuld-Frage“ geklärt ist.
- Sensibilisieren Sie Ihre Kunden für die Gesamtproblematik und das Potential
- Vermitteln Sie das Gefühl, dass der Kunde sich in guten Händen befindet